Kommentierte Rechtsprechung


Ausschluss früherer Beamter vom Richteramt

Eine (Finanz-)Beamtin, die Vertreterin eines FA war und nunmehr Richterin wird, ist von der Mitwirkung an allen Sachen ausgeschlossen, die bereits vor ihrer Übernahme in das Richterverhältnis anhängig waren und somit von ihr hätten vertreten werden können.

BFH v. 20.7.2016 – I R 40/14

Problem: Das FA wies den vom Kläger im August 2012 erhobenen Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid mit Einspruchsentscheidung vom 27.2.2013 als unbegründet zurück. Die fristgemäß erhobene Klage blieb erfolglos. Das FG hat sie mit Urteil vom 19.12.2013 unter Mitwirkung der Richterin am Finanzgericht (RiinFG) R als unbegründet abgewiesen. Gegen das FG-Urteil richtet sich die Revision des Klägers.

R war vom 1.10.2010 bis 30.9.2013 als Sachgebietsleiterin des beklagten FA tätig und zugleich Stellvertreterin desjenigen Sachgebietsleiters, der die Rechtsbehelfsstelle des FA geleitet hat, in welcher über den Einspruch des Klägers entschieden worden ist. R war durch eine Generalvollmacht vom 22.8.2012 ermächtig, das FA (bis zu ihrem Ausscheiden) vor dem FG zu vertreten.

Lösung des Gerichts: Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil R für den Streitfall von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen ist (§ 119 Nr. 2 FGO).

Nach § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 41 Nr. 4 ZPO ist ein Richter von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist. Für den Tatbestand des § 41 Nr. 4 ZPO ist ein tatsächliches Auftreten als Vertreter nicht erforderlich (BFH v. 7.6.2016 – I B 159/15, BFH/NV 2016, 1479; Leipold in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 51 FGO Rz. 24 [Jan. 2016]). Damit ist ein Finanzbeamter, der aufgrund eines erteilten generellen Auftrags Vertreter einer Behörde war und nunmehr – wie im Streitfall die R – Richter wird, von der Mitwirkung an allen Sachen, in denen diese Behörde Beteiligte ist, ausgeschlossen, die bereits vor seiner Übernahme in das Richterverhältnis anhängig waren und somit von ihm hätten vertreten werden können. Unerheblich ist, ob R seinerzeit tatsächlich mit der Streitsache befasst gewesen ist.

Konsequenzen für die Praxis: Problematik: Sachgebietsleiter eines FA zum RiFG: Bisher war zu § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 41 Nr. 4 ZPO hauptsächlich thematisiert worden, dass kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, wer zuvor Amtsleiter des beklagten FA war, da er in der vorliegenden Sache als gesetzlicher Vertreter des FA aufzutreten berechtigt gewesen war (Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 51 FGO Rz. 9 m.w.N. [April 2014]). Dass Amtsleiter zum RiFG ernannt werden, ist aber (aus Altergründen) eher selten. Die Besprechungsentscheidung beschäftigt sich mit der häufigeren Variante, dass ein Sachgebietsleiter eines FA zum RiFG wird (wie etwa auch der Rezensent) und zuvor eine Generalvollmacht zur Vertretung vor dem FG erteilt war.

Zweck des § 41 Abs. 1 Nr. 4 ZPO, auf den die FGO verweist: Die Besprechungsentscheidung stellt im Anschluss an die st. BFH-Rspr. (BFH v. 4.7.1990 – II R 65/89, BStBl. II 1990, 787) gut den Zweck der Norm § 41 Abs. 1 Nr. 4 ZPO heraus. Durch den Ausschluss soll die Mitwirkung eines Richters verhindert werden, für den auch nur die abstrakte Möglichkeit bestand, den Streitpunkt bereits aus der Sicht eines Beteiligtenvertreters zu sehen. Es wird weiter gut hervorgehoben, dass für § 41 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gleichgültig ist, ob die betreffende natürliche Person zum selben Streitpunkt tatsächlich tätig war; vorausgesetzt wird nur, dass die Person „aufzutreten berechtigt […] gewesen ist“. Insoweit greift der Ausschlusstatbestand des § 41 Nr. 4 ZPO weiter als § 41 Nr. 6 ZPO und § 51 Abs. 2 FGO, die jeweils eine tatsächliche Mitwirkung im früheren Rechtszug oder im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren voraussetzen (Leipold in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 51 FGO Rz. 24 [Jan. 2016]). Dies zeigt auch eindeutig der Vergleich des Wortlauts der Normen.

Bevollmächtigter oder Vertreter?: Das Besprechungsurteil formuliert leider nicht exakt aus, ob es einen Sachgebietsleiter als Bevollmächtigten oder Vertreter des FA betrachtet. Das FA hat nämlich die Möglichkeit, entweder einen Bevollmächtigten zu bestellen (§ 62 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 FGO) oder sich durch einen Amtsangehörigen vertreten zu lassen. Letzterer ist, wenn er im Rahmen seiner Vertretungsmacht als Beamter der beteiligten Behörde handelt, nicht Bevollmächtigter i.S.v. § 62 FGO, sondern (selbst wenn er nicht der Behördenleiter ist) ein aus der inneren Organisation der Behörde von Amts wegen berufener Vertreter, der durch seine Dienststellung und nicht durch einen besonderen Auftrag legitimiert wird (BFH v. 8.2.1991 – III R 190/86, BFH/NV 1992, 41; v. 11.1.1979 – V R 120/77, BStBl. II 1979, 283).

Wenn man beim Sachgebietsleiter vom Status des gesetzlichen Vertreters ausgeht (m.E. richtig), ergibt sich die Berechtigung zum Auftreten vor dem FG i.S.v. § 41 Nr. 4 ZPO nur aus dem Geschäftsverteilungsplan (z.B. als Sachgebietsleiter einer Rechtsbehelfsstelle oder als dessen Vertreter) oder aufgrund eines generellen oder eines einzelnen Auftrags (Brandt in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 62 FGO Rz. 36 [März 2012]). Im Fall eines einzelnen Auftrags betrifft der Ausschlusstatbestand dann nur diesen einzelnen Streitpunkt; für andere Fälle würde der Sachgebietsleiter „ohne Vertretungsmacht“ handeln und wäre nicht berechtigt gewesen, die Sache zu vertreten.

Beraterhinweis: Das Besprechungsurteil zeigt, dass Ausschlusstatbestände nach § 41 ZPO nicht nur Fälle aus dem Lehrbuch betreffen. Der Fehler aus dem Besprechungsurteil hat sich sogar mehrfach wiederholt; weitere BFH-Entscheidungen (BFH v. 7.9.2016 – I R 14/15 und BFH v. 7.6.2016 – I B 159/15) zeugen davon.

Bei Rechtsmitteln gegen FG-Urteile, an denen vormals in der Finanzverwaltung tätige Richter mitwirken, sollte auch § 51 Abs. 2 FGO, der einen Ausschlusstatbestand und nicht nur eine Ablehnungstatbestand (Befangenheitsregel) formuliert, etwas Aufmerksamkeit gewidmet werden. § 51 Abs. 2 FGO setzt zwar die tatsächliche Mitwirkung des RiFG an „dem vorausgegangen Verwaltungsverfahren“, das zu der gerichtlich zu überprüfenden Verwaltungsentscheidung geführt hat, voraus (Leipold in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 51 FGO, Rz. 36 [Jan. 2016]). § 51 Abs. 2 FGO ist aber weit auszulegen, so dass auch die Anordnung einer Außenprüfung, die einer angefochtenen Steuerfestsetzung vorausgeht (BFH v. 25.2.2009 – X B 44/08, BFH/NV 2009, 771), die Teilnahme an Besprechungen in der Rechtsbehelfsstelle im Rahmen des vorangehenden Einspruchsverfahrens (BFH v. 5.5.2011 – X B 191/10, BFH/NV 2011, 1385) oder auch Maßnahmen der Aufsichtsbehörde darunter fallen.

Vors. RiFG Dr. Christof Lindwurm, München

AO-StB 2017, 38

201747030108