Kommentierte Rechtsprechung


Bankgeheimnis: Anzeigepflicht eines inländ. Kreditinstituts mit Zweigniederlassung in der EU

Ein inländisches Kreditinstitut ist nach § 33 Abs. 1 ErbStG verpflichtet, die von ihrer Zweigstelle im EU-Ausland verwahrten Vermögensgegenstände auch dann anzeigen, wenn dort ein strafbewehrtes Bankgeheimnis besteht. Diese Anzeigepflicht verletzt weder Unionsrecht noch die Souveränität des ausländischen Staates.

BFH v. 16.11.2016 – II R 29/13

Problem: Die Kl. betreibt im Inland ein Kreditinstitut und unterhält u.a. in Österreich die Zweigstelle A. Die Steuerfahndungsstelle des FA forderte die Kl. im September 2008 auf, ab dem 1.1.2001 alle von der Zweigstelle A für den inländ. Erblasser B verwalteten Vermögensgegenstände dem für die ErbSt zuständigen FA anzuzeigen. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Während des anschließenden Revisionsverfahren entschied der EuGH mit Urteil vom 14.4.2016 (EuGH v. 14.4.2016 – Rs. C-522/14, EU:C:2016:253 = ErbStB 2016, 165 m. Komm. Esskandari/Bick) auf den Vorlagebeschluss des BFH, dass Art. 49 AEUV der Anzeigepflicht des § 33 Abs. 1 ErbStG nicht entgegensteht, auch wenn im EU-Ausland das Bankgeheimnis strafbewehrt ist. Die Kl. macht weiter u.a. geltend, diese Entscheidung sei bei Auskunftsersuchen vor dem 1.3.2012 nicht anwendbar. Außerdem verletze das Auskunftsersuchen Unions-, Verfassungs- und Völkerrecht.

Lösung des Gerichts: Die Revision der Kl. ist unbegründet. Die Anzeigepflicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 ErbStG erfasst auch Vermögensgegenstände, die von einer (rechtlich unselbständigen) im EU-Ausland befindliche Zweigniederlassung eines inländ. Kreditinstituts verwahrt oder verwaltet werden. Dies dient der vollständigen Erfassung des Nachlasses für Zwecke der ErbSt. Außerdem kann mittels Kontrollmitteilungen an die zuständigen FA zur Sicherstellung der steuerlichen Belastungsgleichheit geprüft werden, ob die ertragsteuerlichen Besteuerungsgrundlagen des Erblassers und seines Erben richtig erfasst worden sind. Das FA hat sein Auskunftsersuchen richtigerweise auf das Vermögen eines inländ. Erblassers beschränkt.

Kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit: Unter Berufung auf die o.g. EuGH-Entscheidung wiederholt der BFH dessen Begründung, wonach die Anzeigepflicht nach § 33 Abs. 1 ErbStG nicht das Niederlassungsrecht nach Art. 49 AEUV verletzt. Dies gilt auch dann, wenn in dem anderen Mitgliedstaat keine vergleichbare Anzeigepflicht besteht und Kreditinstitute dort einem strafbewehrten Bankgeheimnis (§ 38 BWG) unterliegen. Den Mitgliedstaaten konnten nämlich lt. EuGH nach damaligem Stand des Unionsrechts wegen Fehlens von Harmonisierungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Informationsaustauschs zu Steuerkontrollzwecken den inländ. Kreditinstituten auch hinsichtlich derer ausländ. Zweigniederlassungen Pflichten für Zwecke der wirksamen steuerlichen Kontrollen auferlegen. Die fehlende Anzeigepflicht in Österreich hindert nicht die Regelung einer solchen Pflicht für deutsche Kreditinstitute.

Die ergangene EuGH-Entscheidung gilt auch für das vor dem 1.3.2012 erlassene streitige Auskunftsbegehren: Der EuGH hat die Anzeigepflicht nach § 33 Abs. 1 ErbStG beim Stand des Unionsrechts zu der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit ausdrücklich gebilligt. Das DBA Österreich n.F. berührt diese Pflicht nicht, da der dort neu geregelte Informationsaustausch nach Art. 26 DBA Österreich n.F. erst für Steuerjahre ab dem 1.1.2011 gilt und es fraglich ist, ob das DBA n.F. für die ErbSt überhaupt gilt, da diese ab dem 1.8.2008 in Österreich abgeschafft worden ist.

Recht auf Freizügigkeit nicht berührt: Dieses Recht nach Art. 21 Abs. 1 und Art. 45 AEUV steht nur einer natürlichen Person, nicht aber einer Gesellschaft oder juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Die Kl. ist eine Anstalt des öffentlichen Rechts und kann sich daher weder auf die Arbeitnehmer-Freizügigkeit nach Art. 45 AEUV noch auf die Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV berufen.

Auch verfassungsrechtlich geschützte materielle Grundrechte sind nicht verletzt, zumal diese ihrem Wesen nach grds. nicht auf juristische Personen des öffentlichen Rechts anwendbar sind. Auch wenn die Kl. als Sparkasse Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit wahrnimmt, macht sie dies nicht zur grundrechtsgeschützten „Sachwalterin“ des Einzelnen.

Ebenso verstößt die umfassende Anzeigepflicht nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Diese war für die Kl. vorhersehbar, da der BMF die Spitzenverbände des Kreditgewerbes bereits zuvor darauf hingewiesen hatte, dass die Anzeigepflicht der Kreditinstitute auch dann besteht, wenn eine inländ. Bank für einen Erblasser Konten und Wertpapiergeschäfte über eine rechtlich unselbständige ausländ. Niederlassung abwickelt (BMF v. 13.6.2000 – IV C 7 - S 3844 - 7/00, DB 2000, 2350 und v. 21.3.2001 – IV C 7 - S 3844 - 6/01, FR 2001, 712). Ein Vorrang des in Österreich geltenden Bankgeheimnisses vor der Anzeigepflicht nach § 33 Abs. 1 ErbStG besteht daher nicht.

Auch das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip wird durch die Einbeziehung ausländ. Zweigstellen inländ. Kreditinstitute in die Anzeigepflicht nicht verletzt. Hier erstreckt sich die hoheitliche Maßnahme auf das inländ. Staatsgebiet, da die Anzeige von einem inländ. Kreditinstitut im Inland verlangt wird, auch wenn dies die Konten und Depots betrifft, die bei einer ausländ. Zweigstelle geführt werden. Die Kl. konnte diese Pflicht auch im Inland erfüllen, da sie Zugriff auf die notwendigen Daten hatte.

Auch wenn die Erfüllung der Anzeigepflicht durch die Kl. in Österreich strafbar sein sollte, liegt hierin keine Verletzung der territorialen Souveränität. Die sich aus dem österr. Auskunftsverbot ergebenden Auswirkungen muss die BRD nicht gegen sich gelten lassen, zumal das BWG Befreiungen von der Pflicht zur Wahrung des Bankgeheimnisses vorsieht, z.B. bei Zustimmung des Kontoinhabers. Außerdem ist die Aufforderung zur Anzeigeerstattung unabhängig davon rechtmäßig, ob die Anzeigen auch nach dem Recht des ausländ. Staates, in dem sich die Zweigstelle befindet, im Einzelfall tatsächlich zulässig sind. Etwaige Pflichtenkollisionen zu Lasten der Kreditinstitute müssen in Kauf genommen werden. Die Kl. hätte außerdem die Eröffnung und Führung von Konten etc. in der österr. Zweigstelle davon abhängig machen können, dass sich deren inländ. Inhaber für den Fall ihres Ablebens mit der Auskunftserteilung nach § 33 Abs. 1 ErbStG einverstanden erklären.

Das Anzeigeersuchen wäre nur dann nach § 125 Abs. 2 Nr. 3 und 4 AO nichtig, wenn das angeordnete Verhalten im Inland strafbar wäre. Eine mögliche Strafbarkeit nach ausländ. Recht ist vom Gesetzgeber nicht zu berücksichtigen und führt nicht zur Nichtigkeit des Auskunftsverlangens.

Konsequenzen für die Praxis: Nach dieser Entscheidung können sich Kreditinstitute nicht dagegen wehren, in ihren Anzeigen gem. § 33 Abs. 1 ErbStG auch die von ausländ. Zweigstellen verwahrten Konten und Vermögensgegenständen eines inländ. Erblassers zu erfassen.

Beraterhinweis: Das Urteil ist trotz der ab 1.3.2012 geltenden Neufassung des DBA-Österreich und der ab 2016 geltenden Richtlinie 2011/16/EU anzuwenden: Der in Art. 26 DBA-Österreich geregelte Informationsaustausch geht ins Leere, da in Österreich keine ErbSt mehr festgesetzt wird, so dass das DBA insoweit nicht anwendbar ist. Gemäß Art. 8 Abs. 3a der Richtlinie 2011/16/EU beschränkt sich der dort geregelte Informationsaustausch auf die Erträge von Konten, nicht aber auf deren Saldo. Um diese für Zwecke der ErbSt zu erfassen, werden Kreditinstitute daher weiter zur Anzeige der von ausländ. Zweigstellen verwahrten Konten aufgefordert werden.

RD a.D. Michael Marfels, Nordkirchen

ErbStB 2017, Heft 3

201756030140